Gelungene Premiere von Science and Cases in Innsbruck
04.11.2014Fast 50 Personen drängten sich am 28. Oktober 2014 im Seminarraum des Hotels Grauer Bär.
Da ABCSG-Präsident Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant den letzten Flug nach Innsbruck verpasst hatte, bestritt ABCSG-Vorstandsmitglied und Leiter der Frauenklinik Univ.-Prof. Dr. Christian Marth den Vorsitz alleine und wachte aufmerksam über den pünktlichen Beginn und auf die Einhaltung der doch recht strengen Zeitvorgaben.
Für die ebenfalls kurzfristig verhinderte Univ.-Doz. Dr. Susanne Taucher sprang Dr. Nihal Net als Gruppensprecherin ein und meisterte diese Aufgabe sehr souverän. Da wegen des großen Andrangs eine vierte Arbeitsgruppe eröffnet wurde, brauchte man spontan auch einen weiteren Gruppensprecher und wählte Dr. Hans-Peter Krause in diese Position.
Case Report eBC
Den Beginn der Fallpräsentationen machte der Innsbrucker Gynäkologe und Mitglied des Executive Committees der ABCSG, OA Priv.-Doz. Dr. Michael Hubalek mit einem Fall von Early Breast Cancer einer 58-jährigen Patientin mit positiver Familienanamnese. Sie hatte zwei Herde in der linken Mamma und die Frage an die TeilnehmerInnen war nun, ob eine neoadjuvante Therapie oder eine primäre Operation ratsam wäre – und wenn OP, welche Vorgehensweise in Frage kommt.
Nach exakt 10 Minuten Diskussion traten die GruppensprecherInnen vor und erklärten die Therapievorschläge. Oberärztin Dr. Katrin Bermoser aus Hall sprach für die Gruppe Gelb, der vor allem das Grading gefehlt hat und auch der HER2-Status. Trotzdem würden sie die Operation vorziehen.
Ähnliches entschied auch die Gruppe Rot, die von OA Priv.-Doz. Dr. Hannes Müller vom BKH Schwaz vertreten wurde. Seine Gruppe machte sich auch dafür stark, der Patientin einen Gentest zu empfehlen, der eine Chemotherapie möglicherweise obsolet macht.
Einen Schritt weiter ging die Gruppe Grün, die gleich einen Gentest machen wollte und dann erst eine Operation. Die onkoplastische Reduktion war hier die favorisierte Vorgehensweise, dann adjuvante Radiatio und endokrine Therapie.
Gruppe Blau sah das ganz ähnlich, alle Gruppen waren übrigens auch für eine Axilla-Dissektion.
Von diesen einhelligen Auswertungen war Priv.-Doz. Hubalek positiv angetan und löste nun auf: Da eine Onkoplastik sicher schwierig gewesen wäre, wurde bei der Patientin eine nipplesparing Mastektomie vorgenommen. Das tatsächliche fehlende Grading hätte an dieser Entscheidung nichts geändert. Diese Vorgehensweise ist durch verschiedene Studien belegt. Ein Genexpressionstest wurde durchgeführt und bei einem Rezidivrisiko von nur 6% konnte tatsächlich auf die Chemotherapie verzichtet werden. Wie von allen Gruppen präferiert, wurde adjuvante endokrine Therapie sowie Bestrahlung vorgenommen.
Neoadjuvantes Setting
Prim. Univ.-Doz. Dr. Peter Sandbichler vom KH Zams referierte danach über eine Patientin, die bei der Selbstuntersuchung einen Knoten ertastet hatte, der sich als mehrherdiges HER2-positives Mammakarzinom entpuppte. Mit dem Bild des präoperativen MRT entließ Doz. Sandbichler die Gruppen in die Diskussion nach der weiteren Therapie.
Dr. Krause macht für die blaue Gruppe den Anfang und empfahl eine neoadjuvante Therapie inkl. Sentinel. Auch die grüne Gruppe hatte wegen suspekter Lymphknoten lange diskutiert, würde aber vielleicht auf den Sentinel verzichten und gleich mit neoadjuvanter Chemotherapie therapieren, und danach eine skinsparing Mastektomie und eine Axilladissektion vornehmen. Je nach Bedarf könnte man im Anschluss eine Radiatio der Lymphabflusswege durchführen und in jedem Fall Herceptin für ein Jahr verordnen.
Gruppe Rot musste auch einige Zeit in die Diskussion über die Lymphknoten investieren, würde aber therapeutisch den Sentinel mitmachen. Die Frage, ob Radiatio oder nicht, war sehr schwierig zu beantworten, auch das Ansprechen von neoadjuvantem Herceptin ist fraglich. Vielleicht käme sogar eine brusterhaltende Operation in Frage, aber auch die skinsparing Methode wäre möglich. Zu Herceptin für ein Jahr würde diese Gruppe auch Aromatasehemmer geben.
In der gelben Gruppe waren sich ChirurgInnen und GynäkologInnen nicht einig, man würde aber keinen Sentinel machen und wahrscheinlich eine Mastektomie mit Axilladissektion vornehmen. Adjuvant dann wie auch die anderen Gruppen Herceptin für ein Jahr plus Aromatasehemmer und Radiotherapie.
Nach diesen doch recht unterschiedlichen Vorgehensweisen löste Prim. Doz. Sandbichler den Fall auf: Da es im Tumorboard keine Entscheidungsfindung gab, beugte man sich damals den Wünschen der Strahlentherapie und erreichte dadurch eine pCR. Die Entscheidung für eine BET wurde durch das negative MR des Sentinels gestützt. Heutzutage würde man zusätzlich mit einer dualen Blockade arbeiten, was damals nicht zwingend war.
High-Risk-Fall
Der Fallbericht im Hochrisiko-Setting aus dem Jahr 2011 wurde vom Onkologen des BKH Kufstein, OA Dr. August Zabernigg, präsentiert. Die Familienanamnese konnte man hier nicht eindeutig vornehmen, da der Vater der Patientin unbekannt war. Ein 2,5cm großer Tumor war in der linken Mamma, außerdem war in der linken Axilla ein pathologischer Lymphknoten vorhanden.
Die Histologie ergab ein „bestialisches“ Karzinom, triplenegativ und sehr aggressiv (Proliferation MIB 70%). Nach 6 Zyklen neoadjuvanter Chemotherapie war das Ergebnis ernüchternd, und nach 2 Jahren trat auch noch ein neuer Tumorherd auf. Motiviert von diesem Fall stellte OA Sandbichler eher allgemein gehaltene Fragen, die nichtsdestotrotz spannend waren: Was hätten wir anders machen sollen? Wie sehen Sie diesen Fall ganz allgemein? Es entstanden sehr schnell angeregte Diskussionen einige Gruppenmitglieder kamen auch noch mit konkreten Nachfragen zum Referenten, um einen umfassenderen Eindruck des Falls zu bekommen.
Doz. Müller musste als erster Gruppensprecher zugeben, dass es in seiner Gruppe keinen Konsens zum weiteren Vorgehen gab. Ähnliches war von den anderen Gruppen zu hören, die alle die unsichere Datenlage anführten.
Das war dann auch Teil der Auflösung von OA Zabernigg, denn es gibt tatsächlich nur retrospektive Daten. Der Einsatz von Taxan kann nicht ausgeschlossen werden, aber auch hier ist die Datenlage unvollständig. Einzig beim Zeitpunkt der genetischen Beratung widersprach der Referent den Gruppen – für diese war es gleichgültig, ob die Beratung vor oder nach der Therapie stattfindet, OA Zabernigg hingegen meinte, das Thema genetische Untersuchung sollte vorzeitig aufs Tapet.
mBC 1st-Line
Als nächster war OA Dr. Daniel Egle von der Innsbrucker Frauenklinik an der Reihe und sprach über den Fall einer 53-jährigen Patientin mit invasivem duktalem Mammakarzinom (MG III, ER 80%++, PR 20%+, HER2 2+, Ki67 40%), die 5 Zyklen Eporubicin/Taxotere neoadjuvant erhielt, und dann adjuvante Radiatio der Restbrust sowie endokrine Therapie mit Anastrozol.
Dann tauchten allerdings 2 Leber- sowie Knochenmetastasen in der Brustwirbelsäule und im Becken auf. Die Fragen an die Gruppen waren anspruchsvoll: Welche palliative 1st-Line-Therapie würde man der Patientin empfehlen, würde man eine Biopsie der Metastasen vornehmen und wie könnte das Ergebnis der Biopsie die Therapieentscheidung beeinflussen?
Dr. Net machte den Anfang und ihre Gruppe würde auf jeden Fall eine Biopsie vornehmen um den HER2- sowie den Hormonstatus Status zu überprüfen und anhand dessen die weitere Therapie zu überlegen. Ansonsten konnte man sich auf Paclitaxel einigen, eine Radiofrequenzablation wurde wegen der Knochenmetastasen nicht von allen Gruppenmitgliedern befürwortet.
Ähnliches war von Dr. Krauses Gruppe zu vernehmen, die allerdings Denosumab als Erstlinientherapie favorisierten. Eine Leberbiopsie würden sie „natürlich“ vornehmen. Auch die gelbe Gruppe würde biopsieren und vom Ergebnis die Entscheidung nach der weiteren Therapie abhängig machen – wichtig wäre hier natürlich die Berücksichtigung des Frakturrisikos der Knochen. Wenn eine Chemotherapie nötig ist, dann sollte diese rasch beginnen, eventuell mit Capecitabin. Wenn die Tumorcharakteristik bei einer neuerlichen Biopsie gleich ist, dann Switch auf Carboplatin mit Denosumab, bei HER2neu-positivem Tumor kommt eine duale Blockade mit oder ohne Chemotherapie in Frage.
Die rote Arbeitsgruppe hatte einen anderen Vorschlag, nämlich Everolimus mit Aromasin. Ein durch eine Biopsie – die auch hier alle vornehmen wollten – definierter HER2-Status könnte die Therapie natürlich verändern.
Nach dieser Fülle an Optionen löste OA Egle den Fall auf, und zwar ebenfalls mit mehreren Vorschlägen, die in einen umfassenden Abriss des Mammakarzinoms in 2 Minuten mündeten. Eine Biopsie bei Metastasierung wird bei allen Studien empfohlen, ändert sich dadurch für jede 6. Patientin der Therapieplan – im vorliegenden Fall wurde Carboplatin mit Denosumab verabreicht.
Hier gab es dann doch Fragen aus dem Publikum, die aufgrund der exzellenten Einhaltung der Zeit von Prof. Marth auch erlaubt wurden. So meinte Doz. Sandbichler, dass man bei Lebermetastasen besser das Ansprechen auf systemische Therapie abwarten sollte, womit Prof. Marth nicht einverstanden war. OA Zabernigg würde eine Chemotherapie außerdem auch vom Ergebnis eines Gentests abhängig machen. Der Vorsitzende referierte anschließend den Fall einer jungen Patientin, die unmittelbar nach der OP Lebermetastasen aufwies, die mit Frequenzablation behandelt wurden, danach mit Chemotherapie, und im Anschluss mit Erhaltungstherapie. Die OP ist mittlerweile 6 Jahre her und die junge Frau ist metastasenfrei – solche Fälle sind zwar selten, aber es gibt sie. Nach dieser beeindruckenden Kasuistik stellte der letzte Referent des Abends, Prim. Univ.-Prof. Dr. Ewald Wöll, einen „unerfreulichen Fall“ im metastasierten Setting vor.
mBC 2nd-Line
Die 1949 geborene Patientin war kognitiv milde eingeschränkt und kam mit einem exulzerierenden Mammakarzinom, multiplen Hautmetastasen, Lebermetastasen, Pleuraergüssen und intrapulmonalen Metastasen sowie schlechtem Allgemeinzustand, aber wegen Dyspnoe (COPD IV) in die Ambulanz. Nach der Erstlinientherapie kam es zu lokaler Regredienz, Besserung der pulmonalen Metastasen, die hepatischen Absiedelungen waren nicht mehr erkennbar und ein ausgedehnter, vorwiegend osteoplastischer, Skelettbefall ohne frakturgefährdender Osteolyse war evident.
Nach lokaler Strahlentherapie und Neutronenbestrahlung war der Befund deutlich besser als zuvor, auch subjektiv fühlte sich die Patientin besser, vor allem bezüglich ihrer respiratorischen Situation.
Ein Jahr später war ein Progress bemerkbar, mit deutlich größenprogredientem Lokalbefund, progredienten pulmonalen Metastasen, neuen multiplen Lebermetastasen, und diffuser Skelettmetastasierung.
Mit der Frage nach dem weiteren Procedere wurden die Arbeitsgruppen in die Diskussion geschickt.
Doz. Müller präsentierte nach 10 Minuten das Ergebnis der Gruppe Rot und entschuldigte sich gleich vorweg, dass seine Gruppe nicht langweilig erscheinen will, aber auch hier wieder Everolimus und Aromasin als Therapieoption ins Rennen führen würde. Die doch beeinträchtigte Lunge könnte zu Problemen führen, darum wurde auch Capecitabin bzw. Bevacizumab diskutiert. Dabei könnte wiederum die Compliance problematisch sein, aber ist eine orale Therapie dann überhaupt geeignet? Vielleicht sollte man gut zugängliche Metastasen biopsieren, um den HER2-Status festzustellen. Dass hier nach der Diskussion mehr Fragen als Antworten herausgekommen sind, hielt auch Prof. Marth schmunzelnd fest.
Die gelbe Gruppe ließ via OÄ Bermoser ausrichten, dass die starke viszerale Komponente sowie die pflegerische Situation ein Problem darstellen und es darum schwer war, eine Monotherapie zu finden, bei der mit der nötigen Compliance zu rechnen ist. Abhängig von den Nierenwerten könnte man eine Umstellung auf Zoledronat andenken und dann jedenfalls Best Supportive Care anbieten.
Die Gruppe Blau musste zugeben, sich zu gar keiner spezifischen Therapie geeinigt zu haben. Die grüne Arbeitsgruppe hatte ebenfalls lange Diskussionen über die Compliance geführt und zog darum eine Monochemotherapie in Erwägung, eventuell mit Denosumab. Wegen der lokalen Hautsituation kommt Bevacizumab nicht in Frage, aber vielleicht eine Strahlentherapie?
Prof. Wöll lieferte die Auflösung – alle Möglichkeiten wären in Frage gekommen, wie so oft bei der Zweitlinientherapie. Im konkreten Fall erhielt die Patientin ab Februar 2014 Eribulin, das sie gut vertrug und unter dem sich sogar der Allgemeinzustand verbesserte (WHO PS 2 statt vorher 3). Bei einer Kontrolle im April waren neben lokaler Regredienz wieder hepatische sowie ossäre Metastasierungen feststellbar, die Therapie mit Eribulin wurde fortgesetzt. Im August kam es zu einer massiven Befundverschlechterung mit Thoraxwandinfiltration, ausgeprägter pulmonaler und pleuraler Metastasierung, sodass die Patientin in die Hospizpflege übergeben wurde und dort ein Monat später verstarb.
Nachdem es dazu keine Fragen aus dem Publikum gab, endete die Veranstaltung pünktlich um 21 Uhr. Prof. Marth war nach eigenen Angaben anfangs sehr skeptisch, ob dieses doch recht neue Format funktionieren kann, wurde aber überzeugt und findet es positiv, dass man sich bei Science and Cases nicht zurücklehnen und berieseln lassen kann, sondern aktiv mitarbeiten muss. Er freut sich auf eine Fortsetzung in Innsbruck und wir freuen uns, wenn Sie 2015 wieder mit dabei sind!
Bilder von der Veranstaltung
Dienstag, 28. Oktober 2014
Innsbruck, Hotel Grauer Bär
Fotos: Roland Defranzesko
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