Science into Practice – Lebhafte Diskussionen in Linz

21.03.2014

Rund 25 Teilnehmer füllten am 19. März 2014 das Dachgeschoß des Linzer Bergschlößls und sorgten mit hitzigen Diskussionen für sommerliche Temperaturen.

Nachdem die beliebte Fortbildungsreihe Science into Practice vor vier Jahren in Linz aus der Taufe gehoben wurde, war es an der Zeit, wieder Station in Oberösterreich zu machen und den lokalen Prüfärztinnen und Prüfärzten Gelegenheit zu geben, sich aktiv in den Ablauf einer Veranstaltung einzubringen.

Die Colorectal Branch der ABCSG

Prim. Univ.-Prof. Dr. Josef Thaler, Initiator der Fortbildungsveranstaltung und Leiter der Colorectal Branch der ABCSG, gab nach einer kurzen Begrüßung einen umfassenden Überblick über die aktuellen Studien der ABCSG: C-05/PETACC 8 und natürlich über die Pilotstudie C-07/EXERCISE, bei der vor allem die Machbarkeit eines individuellen Trainingsprogramms das Studienziel war. Auch den aktuellen Status der „Testperson“ Prof. Thaler konnte man anhand einiger Werte und Fotos erfahren. 

Das nächste Mammutprojekt wird nun die randomisierte Studie C08/EXERCISE – das Protokoll wurde am Tag der Veranstaltung bei der Ethikkommission Oberösterreich eingereicht und in der Sitzung im April besprochen. Gerade die oberösterreichischen Zentren haben großes Interesse an der Teilnahme bekundet und auch die Verfügbarkeit eines geeigneten Patientenkollektivs wird bereits seit Januar anhand von Pre-Study Patient Tracking Logs überprüft. Prof. Thaler rief hier zu reger Beteiligung auf, die Laufzeit endet bereits am 30. Juni.

Case Report Chirurgie

Danach eröffnete der Chirurg Prim. Univ.-Doz. Dr. Andreas Shamiyeh vom Linzer AKh mit dem an diesem Abend wohl am intensivsten diskutierten Case Report mit der Diagnose „Adenokarzinom des Sigma Grad 3 mit Perforation durch die Serosa sowie einer Lymphknotenmetastase und Infiltration der Leber” bei einer 53-jährigen Patientin. Die Kleingruppen zogen sich zu Beratungen und Diskussionen zurück, ein nach dem Zufallsprinzip von Prof. Thaler bestimmter Gruppensprecher präsentierte dem Publikum das Ergebnis.

Alle drei Gruppen kamen zu ähnlichen Entscheidungen, die auch der tatsächlichen Vorgehensweise entsprachen. Doz. Shamiyeh zeigte sich erfreut, dass man in seinem Haus nicht falsch gelegen sei und die neoadjuvante Chemoimmuntherapie auch von KollegInnen als Standardtherapie gewählt wurde. Nach einer Tumorprogression einige Monate später wurde auf palliative Chemoimmuntherapie gewechselt.

Und hier entstand um den Begriff „kurativ“ eine längere Debatte – Vorsitzender Prim. Dr. Johannes Andel vom LKH Steyr fragte mehrmals, ob jemand wirklich der Meinung sei, die Patientin kurieren zu können? Einzelne TeilnehmerInnen waren durchaus der Meinung, unter anderem auch Referent OA Priv.-Doz. Dr. Holger Rumpold vom BHS Linz, der den Standpunkt vertrat, dass die Behandlung durchaus als „potenziell kurativ“ angelegt sein könnte. Unterstützung erhielt er von Prim. Univ.-Prof.  Dr. Reinhold Függer vom KH der Elisabethinen Linz, der auch in seinem Tumorboard diesen Fall als potenziell kurabel einstufen würde. Heilungschancen von 3-5% seien realistisch.

Nach einer weiteren Diskussion am Präsidiumstisch zwischen den beiden Vorsitzenden Prof. Thaler und Prim. Andel kam man zum Schluss, dass nicht alles, was machbar ist, auch als kurativ gelten kann – denn wenn Metastasen durch Chemotherapie verschwinden, sei das streng genommen keine Heilung. Bei der Begriffsdefinition von „kurativ“ wurde an diesem Abend keine Einigung erzielt – trotzdem oder gerade deshalb zeigte sich Prof. Thaler sehr erfreut über diesen Fall, da intensive Diskussionen in diesem Format äußerst wünschenswert sind.

Der strahlentherapeutische Fall

Mit einem Seitenblick auf die fortgeschrittene Zeit hielt OA Dr. Clemens Venhoda von der Radio-Onkologie am BHS Linz seine Fallpräsentation eines über 70-jährigen männlichen Patienten bewusst kurz und stellte dafür gleich mehrere konkrete Fragen an das Publikum.

Das Votum war einhellig: Bei einem 4cm großen Tumor geht ohne OP gar nichts. So wurde auch tatsächlich vorgegangen, allerdings zeigte OA Venhoda anhand einiger, teilweise älterer Studiendaten auch alternative Therapievorschläge auf, unter dem Motto „Aber hätte man nicht auch …?“. Prof. Thaler bezweifelt allerdings den Stellenwert dieser Daten für die klinische Praxis, sofern der Patient eine Operation nicht ablehnt.

Kolonkarzinom im adjuvanten Setting

Einstimmigkeit gab es auch beim Case Report im adjuvanten Setting von Doz. Rumpold – das hat auch Vorsitzender Prim. Andel selten so erlebt. Da sich die Referenten aktiv in die Arbeitsgruppen einbringen  wollten, ergab es sich, dass Doz. Rumpold als Gruppensprecher seinen Fall auch gleich selbst auflösen konnte. Bei einem ebenfalls über 70-jährigen Mann mit Kolonkarzinom T3 N2  entschied man sich für eine adjuvante Monotherapie mit Xeloda®, da ein Benefit von Oxaliplatin zusätzlich in diesem Alter nicht zu erwarten ist. Prof. Thaler wies allerdings darauf hin, dass man bei älteren Patienten unter Xeloda® aufpassen muss, ob nicht eine eingeschränkte Nierenfunktion vorliegt.

Das palliative Setting

Den Abschluss machte Prim. Univ.-Doz. Dr. Ansgar Weltermann (Elisabethinen Linz), der zum ersten Mal einen palliativen Fall beim CRC präsentierte.

Aus Zeitgründen wurden seine Fragen nicht in Gruppenarbeit, sondern im Plenum diskutiert – zuerst waren die Wortmeldungen noch zaghaft, doch schon bald beteiligten sich alle BesucherInnen intensiv an der Krankheitsgeschichte des 50-jährigen Patienten mit primär metastasiertem Rektumkarzinom, der über die gewöhnliche Behandlungsdauer hinweg palliative Chemotherapie erhielt (26 Zyklen FOLFIRI/Avastin® über 23 Monate) und darauf auch besser ansprach als durch Studien belegt. Das Primum war endoskopisch nicht mehr erkennbar, die Lebermetastasen regredient, allerdings nicht operabel. Beim Patienten besteht nach wie vor kein Wunsch nach Therapiepause.

Prof. Thaler bestätigt, dass Unklarheit über die Dauer der palliativen Therapie herrscht. Meistens wünschen Patienten nach sechs Monaten eine Pause bzw. ist auch für Ärztinnen und Ärzte dieser Druck da. Bei keiner subjektiven Einschränkung der Lebensqualität wird man sich – zumindest in Einzelfällen – wohl auf längere Therapien einstellen müssen.

Nach dieser Conclusio endete die Veranstaltung pünktlich um 21 Uhr mit einem gelungenen Buffet, an dem die eine oder andere Diskussion fortgesetzt wurde.

Im Herbst gibt es Science into Practice in Graz – lassen Sie sich diese spannende Art der Fortbildung nicht entgehen!

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